Jakobskapelle - die Suchende am Auerberg

 
 

… vom Suchen und Finden

Wie ist es so schön mit den lieben Vorurteilen, die uns allzu gerne heimsuchen? Ebenso ging es mir, als ich nach einer langen Wanderung das erste Mal vor dieser kleinen Kapelle stand.

Umgeben von nichts weiterem als Wiesen und Weite zur einen und Hügeln und dichtem Wald zur anderen Seite, eingehüllt in das unregelmäßig melodische Läuten der Kuhglocken. Mir drängte sich förmlich ein Gedanke auf: „Oje, was ist denn das?!“

Um ehrlich zu sein hat mich das unerwartete und ungewöhnliche Gebäude zuallererst frappiert:

 

“Bin ich noch Stein, eine Höhle vielleicht? Oder schon ein Gebäude mit Fenstern und Dach?”

 

ein wenig verloren stand die Kapelle vor mir. Wie ein unbeholfenes Kind am Wegesrand, das da einfach vergessen worden ist. Es kann sich nicht recht entscheiden. So schien mir auch diese Kapelle: bin ich noch purer Stein, eine Höhle vielleicht?! Oder schon ein Gebäude mit so etwas wie einem Dach und Fenstern?

Doch wenn ich jetzt an unsere erste Begegnung zurückdenke, erscheint mir ihre äußere Form umso passender: An dieser Kapelle führt eine Variante des Caminos, des Jakobswegs vorbei. So wie dieses kleine Gebäude mit seiner außergewöhnlichen Form auf mich den Eindruck einer Suchenden machte, bringt auch der Weg ganz unterschiedliche Menschen hierher, Pilgerer, Suchende. Im Inneren werden beide, ihr werdet sehen, fündig werden:

Eine schmale Tür nur,

aber sie eröffnet einen ganzen Kosmos an Ruhe und Geborgenheit.

 

Noch nie zuvor habe ich wohl einen deutlicheren Kontrast erlebt, wie damals, als ich die schmale Holztür öffnete, um in die Kapelle zu schlüpfen: Mit dem ersten Blick und dem ersten Atemzug war ich völlig von ihr eingenommen. Eine Atmosphäre von absoluter Ruhe war in jedem Winkel, ja sogar in der Luft, verströmt vom verwendeten Eichenholz, spürbar. Sie war völlig unerwartet und konnte deshalb umso intensiver wirken.

Immer wenn ich mich in dieser Kapelle einfinde ergreift mich ein Gefühl der Geborgenheit. Alles ist in schummriges Licht getaucht. Doch fühlt man sich nie beengt oder gar eingesperrt. Vielmehr erlaubt diese beschützende Atmosphäre, sich zu öffnen, ganz genau hinzusehen.

 

In einem Film hörte ich vor einigen Jahren folgendes Zitat:

“Wenn du Angst hast, sieh genau hin und die Angst wird verschwinden. “

 

Das runde Fenster im Zentrum ist wie ein Auge auf die Welt dort draußen. Hier, verborgen im Inneren der Kapelle, kann man sie ganz gelassen und ruhig betrachten. Fast wollte ich schon schreiben „im Bauch“ der Kapelle. Denn genau diese urtümliche Ruhe strahlt sie aus. Ein Zustand in dem man zwar Teil dieser Welt ist, sie einen aber dennoch nicht belangen kann.

Auch die Bedeutung des Wortes „Kapelle“ beschreibt dieses Bauwerk ganz wunderbar. Der Wortursprung findet sich im lateinischen „Cappa“ und steht für „Mantel“. Dementsprechend ist die Verkleinerungsform „Capella“ das „Mäntelchen“. Dieses Mäntelchen am Auerberg legt sich schützend um alle Menschen, die sie besuchen, die eintreten, weil sie vielleicht auf der Suche nach etwas bestimmten sind. Man kann seine eigenen Hüllen abstreifen, sie vor der Tür stehen lassen und sich öffnen, denn es ist für einen gesorgt. Und selbst wenn ich an dem ein oder anderen Tag keine Frage mit mir trage, trete ich gerne in diese Kapelle ein. Denn sie nimmt mich jedes Mal aus der Zeit heraus und verschafft mir eine Atempause.

 
 

Diese Bauwerk macht der „Kapelle“ und dem Sinn, die ebensolche erfüllen sollte, alle Ehre. Sie lässt alle religionskonkreten Vorstellungen hinter sich und gibt sich auf ganz neue Weise der Aufgabe hin für die sie erdacht wurde. Es gibt weder Altar noch große Kreuze und Heiligenfiguren. Auch gibt es keine Bereiche, die ausschließlich den Priestern vorbehalten sind. Ganz im Gegenteil lädt eine zentrale, schlichte Holzbank, von einigen Stufen empor gehoben, dazu ein, Platz zu nehmen. Dieser erhöhte Platz schenkt eine wundervolle Aussicht zum Horizont durch besagtes „Auge auf die Welt“.

Sehr oft sitze ich hier. Vor meinen Füßen ein rundes, marmornes Wasserbecken. In dessen Mitte eine kleine Kerze. Ich betrachte die Flamme, den kleinen hellen Schein, der nur einen winzigen Teil der Welt erhellt. Doch vielleicht genau den entscheidenden für diesen Moment. Ich sehe die Spiegelung des runden Fensters im Wasser. Meine Gedanken schweifen ab, die Spannung löst sich, der Panzer fällt ab. Jetzt offenbart die Kapelle, dieses Mäntelchen ihre Bestimmung:

 
 

Im Moment der größten Verletzlichkeit beschützt sie, ohne dabei etwas aufdrängen zu wollen.

 
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